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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 01.06.2017


SPAR | INSEL | GALERIE | KASSE – Ausstellung in der Inselgalerie vom 1. Juni bis zum 29. Juli 2017
AVIVA-Redaktion

Es ist die 240. Ausstellung der seit 1995 bestehenden Berliner Frauengalerie, die erste nach dem Umzug in die neuen Räume. Dort sind nun Werke von vier Künstlerinnen zu sehen: Susanne Britz, Juliane Ebner, Fanny Galera und Mirella Pietrzyk. Die Veranstaltungsreihe M E M O R I E S...




... begleitet mit einer Vorführung des Films "Landstrich" von Juliane Ebner sowie zwei Lesungen: Tanja Dückers liest aus ihrem Roman "Mein altes Westberlin", Gesine Bey liest aus Angela Rohrs "Lager".

Ortswechsel und Neuanfang

Der Plattenbau in der Torstraße 207 war 15 Jahre lang das Domizil der Inselgalerie, ein Projekt der Berliner Fraueninitiative Xanthippe e.V. Nun musste sie der Gentrifizierung weichen: Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) plant die Sanierung des Gebäudes, um die Mieten anzuheben. Neben der Inselgalerie müssen das Projekt für junge Obdachlose Klik e.V. und die Sozialberatungsstelle der Volkssolidarität ausziehen.

Während die Neuanfänge der beiden anderen Projekte noch bevorstehen, ist die Inselgalerie bereits angekommen: Sie besteht in den Räumen einer ehemaligen Sparkasse in der Petersburger Straße 76A in Berlin-Friedrichshain fort. Dieser an sich unspektakuläre Umzug in einer sich ständig verändernden Stadt löst schnelle, widersprüchliche Ideen- und Gedankenverknüpfungen aus. Schalkhaft ironisch und bitter, banal und bedeutend – je nach Standort der Beobachterin lässt sich die Konstellation von Geld- und Kunst-Institut in viele Richtungen auslegen. Die erste Ausstellung in der alten Sparkasse spielt mit dem Ort, den Vorzeichen und Deutungen.

Die vier Künstlerinnen, mit denen das Programm der Inselgalerie nach fast dreimonatiger umzugsbedingter Pause fortgesetzt wird, bringen ihre Themen in den Kontext der Geschichte der Galerie: Prozesse, Umdeutung, Entfremdung, Improvisation und Schichtung bzw. Überlagerung.

Susanne Britz: Begehbare Zeichnungen

Susanne Britz geht in ihren Arbeiten immer vom vorhandenen Raum aus. Sie inszeniert für den Raum und setzt die Arbeiten an ihrer Installation während der Ausstellung fort. Die Künstlerin erklärt: "Meine Arbeitsweise strukturiert sich in Prozessen, sie reflektiert Prozesse und öffnet sich in Prozessen." Wie selbstverständlich entwendet sie Gegenstände ihrer Bedeutung. Die Vertikalen und Horizontalen von Tischen, Stühlen, Regalen, Flipcharts, Tafeln, Teppichen und Papierseiten, vitalisiert durch neonbunte, geringelte Leinen und Drähte, Knetbällchen und Haftnotizen – sie bilden die Linien dieser begehbaren Zeichnungen. Denn Susanne Britz ist zuerst Zeichnerin. Sie zeichnet mit der Computermaus auf digitalen Fotos, die sie selbst von den eigenen Installationen bzw. Ausschnitten davon, macht. Dieses Werk findet anschließend seinen Platz in der Installation. Oder in einer anderen. Fotos, Zeichnungen und Installationen – sie alle tragen Susanne Britz´ Handschrift, in der die Dinge wie zufällig, leicht und bunt Situationen suggerieren, in denen in denen mit kindlicher Ernsthaftigkeit gearbeitet wird.

Juliane Ebner: Ge-Schichten

Juliane Ebner ist ästhetisch mit Susanne Britz verwandt, nicht nur wegen der Neonfarben, mit denen sie ihre Tuschezeichnungen akzentuiert, sondern weil auch sie in Schichten arbeitet und ihr eigentliches Medium, die Zeichnung, verlässt. Juliane Ebner macht Projektionen und Filme. Ihre ausschließlich mit der Hand gezeichneten Tuschearbeiten kopiert Ebner auf Folien, die sie dann schichtet und Aufnahme für Aufnahme in stop-motion-pictures verwandelt. Zu den wackligen, poetischen, manchmal comic-haft wirkenden Bildern erzählt sie mit eigener Stimme. Das Wort "Ge-Schichten" gewinnt bei ihr eine neue, vielleicht die eigentliche Bedeutung. Denn überlagern sich in unseren Leben nicht immer die Ereignisse? Lebensgeschichten fließen. Die Zeiten und Geschehnisse überlagern sich, insbesondere das Private mit dem Politischen. In "Landstrich" – mit 30 Minuten ihrem bisher längsten handgezeichneten stop-motion – nutzt Juliane Ebner ein lyrisches Ich, das von seiner Großmutter und deren Kindern erzählt. Der Kunstbeirat des Deutschen Bundestages beauftragte Ebner 2015 zu diesem Film. Neben einer kleineren Filmarbeit wird Juliane Ebner in unserer Ausstellung großformatige, aus mehreren Folien geschichtete Tuschezeichnungen zeigen.
Der Film "Landstrich" wird am 6. Juni, 19 Uhr in der Inselgalerie zu sehen sein.

Fanny Galera: Geben und Nehmen

Fanny Galera thematisiert in ihren Plastiken die Verfasstheit des Menschen in einer immer engeren Welt, in der ökonomische Zwänge zunehmen. Weiß triefende Gestalten kriechen mühsam aus Milchkannen, deren Öffnungen jedoch so klein sind, dass sie steckenbleiben. So verkehrt die Künstlerin die einstige Bedeutung der Milch als Zeichen von Reichtum und Wohlergehen in einen Fluch, der diese Gestalten überfallen hat. In einer anderen Arbeit sitzen Menschen aufgereiht nebeneinander, jeder in seiner eigenen kleinen Glasglocke, gefangen in Isolation. Die Bildhauerin arbeitet sowohl mit Metallen und Steinen als auch mit Porzellan und Keramik. "Mich interessieren die Beziehungen zwischen Menschen und Dingen", sagt sie. Weiße Hände und Arme recken sich aus einer Wand. Geben oder nehmen sie? Wie sehen wir sie? Wie beurteilen wir Geber_innen und Nehmer_innen? Es sind schwere Themen, die Fanny Galera auf humorvolle Weise behandelt. In ihrer Traurigkeit und ihrem Schmerz bewahren ihre Figuren sehr viel Menschlichkeit.

Mirella Pietrzyk: Märchenhaft surreal

Mirella Pietrzyk malt in leuchtenden Farben surreale Figuren, weiblich zumeist, mit riesigen Facettenaugen, mehreren Brüsten, überlangen Beinen und/oder gewaltigen Haartrachten. Es sind lustvolle Bilder. Nichts Erschreckendes ist darin, auch wenn sie zuweilen an Bosch erinnern, an das Mittelalter überhaupt. Mirella Pietrzyk nennt als Quellen ihrer Inspiration Meret Oppenheim, Zdzislaw Beksinski, Max Ernst und die Bücher von Stanislaw Lem. Die Malerin und Modedesignerin hat den Eingangsbereich der Galerie mit einem Wandbild gestaltet.

M E M O R I E S: Film und Lesungen

Die Veranstaltungsreihe M E M O R I E S begleitet die Ausstellung mit einem Animationsfilm der Künstlerin Juliane Ebner und zwei Lesungen aus unlängst erschienenen Romanen.

Am Dienstag, dem 6. Juni um 19 Uhr zeigt Juliane Ebner ihren gezeichneten Animationsfilm "Landstrich". Er thematisiert den Reichstagsbrand 1933 und Fragen zum Umgang mit Schuld und Geschichte.

Am Donnerstag, dem 15. Juni um 19 Uhr liest Tanja Dückers aus ihrem Roman "Mein altes Westberlin". Die Schriftstellerin, Publizistin und Kunsthistorikerin streift durch die Straßen und Hinterhöfe Westberlins der 70er- und 80er-Jahre und lässt dabei das Leben zwischen Privatem und Politischem Revue passieren.

Am Donnerstag, dem 27. Juli um 19 Uhr stellt Gesine Bey das von ihr herausgegebene Buch "Lager" von Angela Rohr vor. Angela Rohr wurde 1942 in ein Gulag gebracht und überlebte, indem sie als Ärztin in Lazaretten arbeitete. Das Manuskript zum autobiografischen Roman schrieb Rohr bereits 1964.

Mehr Informationen zu Ausstellung und Veranstaltungen:
www.inselgalerie-berlin.de

Zu den Künstlerinnen und Autorinnen:

Susanne Britz
wurde 1974 in Neuwied geboren. Von 1995-2001 studierte sie Bildende Kunst, Chemie und Philosophie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. 2002 nahm sie ein Meisterstudium für Fotografie auf. Seit 2005 lebt Susanne Britz in Berlin. 2010 hielt sie Gastvorträge an der Universität der Künste Berlin und der Leuphana-Universität in Lüneburg. Sie erhielt zahlreiche Arbeitsstipendien und hielt sich u.a. 2002 auf Schloss Balmoral in Bad Ems auf, 2006 auf Schloss Wiepersdorf, 2007 in Ostrava, 2008 im Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop und 2011 im Künstlerdorf Schöppingen. Sie wurde 2012 mit dem BRITA Kunstpreis für Fotografie (2. Preis) geehrt und war 2009 Preisträgerin (1. Preis) bei der Ausschreibung "junger westen" der Kunsthalle Recklinghausen. Seit 2002 beteiligte sie sich an zahlreichen Ausstellungen in Deutschland. 2010 hatte sie Einzelausstellungen im Kunsthaus Essen und in der Galerie im Saalbau, Berlin. 2013 stellte sie mit malatsion im Kunstverein Bellevue-Saal in Wiesbaden, 2015 im Kunstverein Ahlen aus.
Susanne Britz im Netz: www.susannebritz.de

Juliane Ebner wurde 1970 in Stralsund geboren. Sie studierte zunächst von 1987-1993 Kirchenmusik an der Hochschule für Kirchenmusik in Dresden und Theologie an der Christian-Albrecht-Universität in Kiel, bevor sie 1999 ein Studium der Freien Kunst an der Muthesius-Kunsthochschule Kiel aufnahm. Seit 2005 lebt und arbeitet Juliane Ebner als freie Künstlerin. 2007 zog sie nach Berlin. Mit zahlreichen Film- und Projektförderungen verwirklichte sie ihre Filmarbeiten. Sie erhielt Stipendien u.a. der Villa Haiss in San Josè, USA, der Käthe-Dorsch-Stiftung Berlin, des Kulturcenters Kiersgaard, Dänemark, der Keystone-Editions Berlin und der Hans-Hoch-Stiftung Neumünster. Beim Realisierungswettbewerb "Operare" der Zeitgenössischen Oper Berlin erhielt sie den 1. Preis. Außerdem erhielt sie den Dekalog-Filmpreis der Guardini-Stiftung. Am 26. Mai 2017 erhielt sie im Martin-Gropius-Bau zum zweiten Mal den Dekalog-Filmpreis (2.Platz) für ihren Film "Vom Wald her".
Juliane Ebner im Netz: juliane-ebner.de

Fanny Galera wurde 1973 in Valencia/ Spanien geboren. An der Fakultät der Schönen Künste von San Carlos studierte sie Bildhauerei. An derselben Universität absolvierte sie später ein Lehrer-Studium. Fanny Galera belegte Kurse in Schweißtechnik und Brenn-und Gießtechniken für Skulptur und beschäftigte sich mit Video- und Computertechnologien in der Kunst. Dreimal beteiligte sie sich am Skulptur-Sommer der Eduardo Capa-Stiftung. Sie belegte Kurse in der Steinskulptur-Werkstatt von David Read, der Bronzegießerei von Eduardo Capa Sacristan und der Holzschnitzerei von Manuel CastrillonBrava. Außerdem belegte sie ein Seminar in Keramik bei Eric Mestre und einen Kurs in Schmieden bei Martin Chirino. Sie ist Mitglied des Internationalen Sculpture-Networks. Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet. Sie erhielt den Premio Casa FalconieriEstampa 2010, den XX PremioSenvera des Rathauses von Valencia und den PremioInternacional de CeramicaContemporaneaCerco 2003. Fanny Galera bestritt zahlreiche Ausstellungen in Spanien und vielen anderen Ländern, u.a. stellte sie in der Fondazione Francesco Messina in Mailand aus, im Instituto Cervantes in Tokio, in der Galerie Art Scout in Berlin sowie auf zahlreichen Kunstmessen.
Fanny Galera im Netz: www.fannygalera.com

Mirella Pietrzyk wurde 1963 in Broslawice/ Polen geboren. Von 1977-1988 war sie Förderschülerin für Grafik und Malerei am Lindenau-Museum. Ab 1988 studierte sie an der Fachschule für Angewandte Kunst in Schneeberg und schloss 1991 als Designerin die Fachklasse Bekleidungsgestaltung ab. Anschließend arbeitete sie als Designerin in der Kulturellen Stadtbauhütte Altenburg. Sie arbeitete als Grafikerin und Kostümgestalterin mit Jugendlichen. 1995 beteiligte sie sich erfolgreich am Großen Preis für Internationales Mode-Design in der Semperoper Dresden. Ihren Abschluss als Modedesignerin machte sie 1996 nach einem Studien-Jahr an der Hochschule für Technik und Wissenschaft Zwickau im Fachbereich Angewandte Kunst. Seit 1998 stellte sie regelmäßig aus, u.a. im Frauenmuseum Bonn, im Wilhelm-Wagenfeld-Haus in Bremen und an vielen Orten in Berlin, darunter mehrmals im Ausstellungszentrum Pyramide.
Mirella Pietrzyk im Netz: www.facebook.com/mirella.pietrzyk

Tanja Dückers ist 1968 in West-Berlin geboren und studierte Nordamerikanistik, Germanistik und Kunstgeschichte. Als Schriftstellerin, Publizistin sowie Kunsthistorikerin hat sie zahlreiche Romane, Hörspiele, Erzählungen, Lyrikbände und Essays veröffentlicht, schreibt als Journalistin für verschiedene Zeitungen, Magazine und Radiosender und lehrt an amerikanischen Colleges und Universitäten Deutsche Literatur/German Studies. Zu ihren Werken zählen die Romane "Himmelskörper", "Der längste Tag des Jahres", "Hausers Zimmer", der Essayband "Morgen nach Utopia", sowie Lyrikbände und Kinderbücher. 2012 erschien ihr Gedichtband "Fundbüros und Verstecke", zuletzt erschien von ihr "Mein altes West-Berlin". Tanja Dückers schreibt monatlich ein Essay zu einem aktuellen gesellschaftspolitischen Thema für Zeit Online und rezensiert neue Literatur auf Radioeins in der Sendung "Die Literaturagenten".
Tanja Dückers im Netz: www.tanjadueckers.de

Angela Rohr, geboren 1890 in Znaim, studierte Medizin in Paris, veröffentlichte erste dadaistische Texte in Zürich und ging 1925 mit ihrem Ehemann nach Moskau. Dort schrieb sie journalistische Texte. 1941 wird sie verhaftet, und 1942 zu fünf Jahren Gulag verurteilt. Im Lager betätigte sie sich als Lazarett-Ärztin. Nach Abbüßen ihrer Strafe wurde sie auf Lebenszeit nach Sibirien verbannt. 1957 wurde sie rehabilitiert, woraufhin sie nach Moskau zurück kehrte. Dort starb sie im Jahr 1985. 2010 erschien "Der Vogel", eine von Gesine Bey editierte und herausgegebene Sammlung Angela Rohrs Erzählungen und Reportagen. Das Manuskript zu "Lager" schrieb sie bereits 1964, nun erschien es, ebenfalls unter Herausgeberschaft Gesine Beys, im aufbau-Verlag.
Mehr Informationen über Angela Rohr: www.exilarchiv.de


Inselgalerie
g Berliner Fraueninitiative Xanthippe e.V.

Petersburger Straße 76A, 10249 Berlin
(U5 Frankfurter Tor / M10 Bersarinplatz)
Tel.: 030 – 28 42 70 50
Mehr Infos unter: www.inselgalerie-berlin.de

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Tanja Dückers – Mein altes West-Berlin
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Quelle: Inselgalerie, Berliner Fraueninitiative Xanthippe e.V.


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Beitrag vom 01.06.2017

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